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Stämme Australiens sich über das Ausschlagen der Zähne machen), oder nach seinem Tode
zu den giössten JMartern verurteilt wird.
Dieses stark religiöse Gepräge hat die Sitte z. B. auch in dem hinduischen Bali.
Jakohs (247) berichtet hierüber: „Man legt auf den gottesdienstlichen Akt der Zahn-
feilung besondes darum viel Gewicht, weil man überzeugt ist, dass jemand, dessen Zähne nicht
gefeilt sind, nach dem Tode durch anhaltendes Beissen auf hartes Holz gemartert wird.''
Wenn solche Bräuche eine religiöse Bedeutung haben, so gewinnen sie zum Teil den
mystischen Wert von Opfern, welche man den höheren Wesen als Dank, als Demütigung
oder Sühne darbringt.
Die Eingeborenen der Sandwichs -Inseln opfern, wie schon oben erwähnt, ihrem Gotte
Eatoa, um ihn zu versöhnen, ihre Vorderzähne, um ihm so die Achtung kund zu geben, die
sie vor ihm haben.
Als nichts anderes als eine Sühne oder eine Demütigung ist die Deformierung der
Zähne bei Trauerfällen anzusehen.
Da nämlich nach der Ansicht der Wilden irgend einer am natürlichen Tode schuld
sein muss. so haben die Verwandten nicht nur die Pflicht, die Verstorbenen zu rächen,
sondern es ist nach ihrer Logik garnicht ausgeschlossen, dass sie selbst unbewusst den Tod
herbeigeführt haben, obschon letztere Idee wohl erst aus der Unmöglichkeit. Rache zu nehmen,
und dem lebhaften Gefühl der Verpflichtung dazu hervorgegangen sein mag. Kurz, sie werden
von ihren Mitmenschen als eine Art Sündenböcke betrachtet und fühlen sich selbst belastet,
was sie durch Selbstverwundung, Ablegen allen Schmuckes und allerhand Demütigung vor den
Toten zum Ausdruck bringen.
Bei der Ausübung der Zahndeformation heutzutage scheint es. soweit nicht die
Vorstellung durch lein leligiöse Beweggründe verdrängt oder beschränkt ist, allgemeine An-
schauung zu sein, dass die Verunstaltung als Schmuckmittel. als Stammeszeichen, als Pubertäts-
oder llochzeitsgebrauch oder schliesslich als ein Zeichen der Demütigung bei Unglücks- und
Traucrfällen gilt.
Zum Schlüsse sei noch erwähnt, dass mir für die ethnologische Bedeutung der Sitte
die Beantwortung einer Krage besonders wichtig und aufklärend erscheint, die leider in den
Berichten der Reisenden sehr selten erörtert wird. Es handelt sich hier um die die Deformation
ausführenden Personen.
Die Art und die Stellung dieser Leute muss uns in vielen Fällen darüber aufklären,
welchen Wert dieser oder jener Stamm der Verunstaltung beilegt.
Die Ausführung ist entweder in keiner Weise berufsmässig geregelt: die Leute, die
sich der Prozedur unterwerfen, können sich an jeden wenden, der ihnen persönlich beliebt:
die Zähne verunstaltet, wer es kaim, oder wir linden als höchste Stufe kultureller Entwickelung